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'Nicht alles war grau' – Interview mit Anne-Gret Oehme
Anne-Gret Oehme über historische Genauigkeit im Kostümbild
Anne-Gret Oehme gehört zu den bedeutendsten Kostümbildnerinnen Deutschlands. 2022 erhielt sie den Deutschen Filmpreis für ihr Kostümbild für den Film “Lieber Thomas”. Ihre Karriere begann im Babelsberger Kostümfundus zu DDR-Zeiten, wo sie ihre ersten Schritte im Handwerk machte. Heute prägt sie die visuelle Identität von Filmen wie “Lieber Thomas”, “Zwei zu Eins” und zuletzt “Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße”. Im Interview spricht sie über die Herausforderung, Authentizität und kreative Vision zu verbinden, die Zusammenarbeit mit dem kürzlich verstorbenen Regisseur Wolfgang Becker und warum auch eine Nähmaschine viel erzählen kann.
Ihre Filme behandeln oft historische Themen. Wie sind Sie an den Wendefilm “Zwei zu Eins” herangegangen?
Anne-Gret Oehme: Man muss tief in die jeweilige Zeit eintauchen. Kostümgeschichte zu studieren gehört zum Handwerk, aber im Film braucht es eine besondere Präzision. Für “Zwei zu Eins” habe ich nicht nur Archivmaterial gesichtet, sondern auch alte Fotos von mir selbst ausgegraben. Wichtig war, dass die Kleidung authentisch wirkt, aber nicht zu museal.
Die Regisseurin Natja Brunckhorst hatte eine klare Vision: Ihre Figuren sollten Helden sein – und Helden sehen toll aus. Stonewashed-Jeans, die typisch für die Zeit gewesen wären, waren deshalb tabu. Um unsere Helden trotz Kleinstadt glaubhaft erscheinen zu lassen, haben wir der Hauptfigur eine Nähmaschine in die Wohnung gestellt, um zu erzählen, dass sie ihre Kleidung selbst herstellt. So konnten wir stilvolle, aber glaubwürdige Kostüme schaffen. Und es war ein wunderbarer Kniff, der auch der Realität vieler Menschen damals entsprach.
Wie schaffen Sie die Balance zwischen historischer Genauigkeit und künstlerischer Freiheit?
Anne-Gret Oehme: Das ist eine der größten Herausforderungen. Bei “Zwei zu Eins” wollte ich den Figuren Würde geben, statt die Tristesse der Zeit zu überzeichnen. Ich selbst komme aus dem Osten und habe vieles miterlebt. Auch wenn wir nicht alles hatten, sahen wir individuell und gut aus. Es ging mir darum, die Realität zu erzählen, ohne sie zu romantisieren.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Wolfgang Becker bei “Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße” erlebt?
Anne-Gret Oehme: Wolfgang Becker war ein Regisseur der alten Schule, mit großen Visionen, die er manchmal nur schwer in Worte fassen konnte. Das war herausfordernd, aber auch spannend. Er hatte eine genaue Vorstellung von der Atmosphäre und wollte den Osten der 80er Jahre unbedingt trist und grau erzählen, beige war ihm schon zu lebensfroh. Doch ich musste ihm widersprechen – zu viel Schwarz wirkt nicht trist, sondern stark und rebellisch – das war ja genau die Farbe der Punks damals. Wir haben diskutiert, Braun- und Grautöne beherrschten letztendlich das Bild. Er war sehr zufrieden mit dem Ergebnis und bedankte sich bei mir für meine Sturheit, und das bedeutet mir viel. Mit ihm zu arbeiten, war oft ein Ringen, aber immer von Respekt geprägt. Sein Herzblut hat mich beeindruckt. Sein Tod kurz nach dem Dreh war ein großer Verlust.
Sie haben eine besondere Verbindung zum Babelsberger Kostümfundus. Welche Rolle spielt er in Ihrer Arbeit?
Anne-Gret Oehme: Der Babelsberger Fundus war für mich der Anfang von allem. Damals, zu DDR-Zeiten, wollte ich Kostümbild studieren, aber der Weg war nicht einfach. Mein Vater hat mir einen Job im Fundus vermittelt, und dort bin ich praktisch ‘groß geworden’. Heute kenne ich jedes Regal, jedes Stück – und verbinde viele persönliche Erinnerungen damit. Ich erkenne auch mal Papas Jacke wieder, wenn ich durch die Gänge gehe. Es ist ein magischer Ort, an dem man Geschichte anfassen kann. Für historische Filme schöpfe ich aus diesem Fundus immer aus dem Vollen, denn er bietet eine Tiefe und Vielfalt, die kaum zu übertreffen ist.
Was macht für Sie ein gelungenes Kostüm aus?
Anne-Gret Oehme: Ein gutes Kostüm erzählt die Geschichte der Figur, ohne sich aufzudrängen. Es muss die Charaktere glaubhaft machen, sich in das Gesamtbild des Films einfügen und trotzdem künstlerisch wirken. Wenn niemand bewusst über die Kleidung nachdenkt, habe ich meinen Job gut gemacht.