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Der Moment, wenn die Schauspieler sagen, 'Das ist die Figur!' – Interview mit Miriam Muschel
Mirjam Muschel über ihr Kostümbild für Münter & Kandinsky
Seit dem 24. Oktober 2024 läuft das historische Drama Münter & Kandinsky in den deutschen Kinos. Der Film fängt die komplexe künstlerische und persönliche Beziehung zwischen den expressionistischen Malern Gabriele Münter und Wassily Kandinsky in einer visuell beeindruckenden Erzählweise ein. Das präzise Kostümbild von Mirjam Muschel erweckt die historischen Figuren zum Leben und spiegelt ihre künstlerische Essenz wider. Im Interview gewährt Mirjam Muschel Einblicke in ihre intensive Recherchearbeit, die kreativen Entscheidungen und die Herausforderungen bei der Gestaltung der Kostüme für diesen besonderen Film. Und wie unterschiedlich ihr Ansatz an das Kostümdesign für die RTL+-Serie Gute Freunde – Der Aufstieg des FC Bayern ausfiel.
Wie muss man sich eine Kostümbild-Recherche für einen historischen Film wie “Münter und Kandinsky” vorstellen?
Mirjam Muschel: Es war mir von Anfang an klar, dass ich hier tiefgehender recherchieren muss als bei meinen anderen bisherigen Projekten. Bei “Münter & Kandinsky” war mir wichtig, neben den historischen auch die emotionalen Aspekte der Figuren einzufangen. Orte wie das Lenbachhaus in München und das Münter-Haus in Murnau waren wichtige Inspirationsquellen für mich. Auch die Beschäftigung mit der künstlerischen Bewegung der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte einen wesentlichen Einfluss auf meine Arbeit. Die Künstler strebten damals keine Schönheit mehr im klassischen Sinne an, sondern transportierten Emotion und Ausdruck durch intensive Farben und Formen.
Wie haben Sie diesen Ausdruck in den Kostümen umgesetzt?
Mirjam Muschel: Die Kostüme sollten natürlich historisch korrekt sein, aber ebenso die Persönlichkeit und die künstlerische Seele der Figuren verkörpern. Münters Verbindung zur Natur habe ich durch fließende, naturverbundene Formen betont. Ihr blauer Hosenrock symbolisiert Beweglichkeit und Freiheit, passend zu ihrer Liebe zum Fahrradfahren. Das Farbkonzept der beiden Charaktere spiegelt auch ihre Beziehung wider – Kandinsky bevorzugte Schwarz und Grün an ihr, was ich in der Farbwahl gezielt eingesetzt habe, um die Nähe und Dynamik der Beziehung der beiden zu betonen. Kandinsky hat auch selbst Kleider für Münter entworfen, zum Beispiel das Kleid für eine Ausstellung in Berlin oder das asiatisch angehauchte Kleid, das sie während ihres Aufenthalts in Sèvres trug.
Was waren die besonderen Herausforderungen beim Kostümbild für diesen Film?
Mirjam Muschel: Eine der größten Herausforderungen war es, geeignete historische Stoffe zu finden, da Materialien wie Wolle, Seide und Leinen in der Qualität und Machart von damals heute schwer zu bekommen sind. Gleichzeitig war es wichtig, die Zeit des Umbruchs um 1900 sichtbar zu machen, als Frauen anfingen, sich vom Korsett zu befreien und freier zu denken und zu handeln. Diese Befreiung spiegelt sich auch in der Kleidung wider. Die Balance zwischen historischer Authentizität und moderner Interpretation der Kostüme war essentiell.
Gibt es Momente, in denen Ihre Kostüme eine besondere Wirkung auf die Schauspieler haben?
Mirjam Muschel: Ja, definitiv. Ein schönes Beispiel war, als Vanessa Loibl in die Rolle von Gabriele Münter schlüpfte. Ich habe bei den Anproben gemerkt, wie das Kostüm ihr half, den Charakter zu verinnerlichen. Der Moment, wenn die Schauspieler und ich sagen, “Das ist die Figur!”, ist immer etwas Magisches. Die Kostüme sind nicht nur Kleidung, sie lassen die Charaktere physisch und emotional zum Leben erwachen und sind sehr wichtig für die Gesamtästhetik des Films.
Sie haben auch das Kostümbild für “Gute Freunde – Der Aufstieg des FC Bayern” gestaltet. Eine TV-Serie über den FC Bayern München in den 60er/70er Jahren. Wie unterscheidet sich Ihre Herangehensweise dabei?
Mirjam Muschel: “Gute Freunde” war eine komplett andere Welt. Hier stand der sportliche und gesellschaftliche Kontext der 60er/70er Jahre im Mittelpunkt, also eine deutlich bodenständigere Herangehensweise. Das Ziel war, die sozialen Schichten und die Vereinsgeschichte realistisch darzustellen. Die Farben Rot und Weiß, das Markenzeichen des FC Bayern, spielten eine zentrale Rolle. Aber es ging weniger um künstlerische Symbole, sondern mehr um Alltagskleidung, die die Identität und den Zeitgeist widerspiegelte.
Wie hat Sie der Kostümfundus Babelsberg bei diesen Projekten unterstützt?
Mirjam Muschel: Der Fundus ist für mich eine unverzichtbare Ressource. Die authentischen historischen Stücke dort sind entweder Originale oder detailgetreue Reproduktionen und bieten somit eine perfekte Basis. Viele Kostüme, wie Münters Malerkittel oder Kandinskys Anzüge, wurden speziell für den Film in Babelsberg angefertigt. Der Fundus in Babelsberg hat ein Team mit viel Erfahrung in historischer Mode, das mich bei der Auswahl der Stoffe und der Anpassung an die Figuren hervorragend unterstützt hat. Die enge Zusammenarbeit und das Verständnis für meine Vorstellungen sind unverzichtbar für meinen kreativen Prozess.
Welche Rolle spielt der Kostümfundus im Verlauf der gesamten Produktion?
Mirjam Muschel: Gerade in der Vorbereitungsphase ist der Fundus eine enorme Inspirationsquelle. Die Möglichkeit, historische Stoffe und Schnitte direkt zu erleben, gibt mir eine klare Vorstellung von Farben und Formen. Die Flexibilität und Vielfalt, die der Fundus bietet, trägt entscheidend zur Authentizität und Tiefe der Charaktere bei. Das Team dort unterstützt mich nicht nur fachlich, sondern auch kreativ, es entsteht immer schnell ein sehr produktiver Austausch.
Wie sehen Sie Ihre Rolle als Kostümbildnerin in einer Filmproduktion?
Mirjam Muschel: Ich sage immer: “Ich mache Kostüme, damit sich die Figuren in echte Persönlichkeiten verwandeln.” Schon während ich das Drehbuch lese, erwachen sie in meinem Kopf zum Leben und ich fange an, sie einzukleiden. Anschließend geht es um die Details: Welche Stoffe passen? Wie verhält sich der Darsteller in einem bestimmten Schuh oder Anzug? Es sind oft die kleinen, kaum sichtbaren Details, die letztendlich die Authentizität einer Figur ausmachen. Ich hoffe, dass das Kostümbild weiterhin die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient, und dass auch die Zuschauer verstehen, wie wichtig es für die Charakterentwicklung und die Atmosphäre eines Films ist.